Die Sonne war der ganze Himmel by Powers Kevin

Die Sonne war der ganze Himmel by Powers Kevin

Autor:Powers, Kevin [Powers, Kevin]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-10-402237-6
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2013-01-27T17:00:00+00:00


Al Tafar, Provinz Ninive, Irak

Wir hatten die Obstwiese fast erreicht, als ein Vogelschwarm aufflog. Die Tiere hatten sich erst vor kurzem niedergelassen. Wippende Zweige zeugten noch von ihrer Anwesenheit, und nun kreisten sie am rötlichen Himmel vor den Federwolken wie ein improvisiertes Warnsignal. Ich hatte Angst, und es roch nach Kupfer und billigem Wein. Die Sonne war aufgegangen. Ihr gegenüber hing der Halbmond immer noch tief am Himmel, stach hervor wie in einem Pop-up-Kinderbuch.

Wir hatten uns im Graben aufgereiht, standen bis zu den Knöcheln im nassen Schlamm. Ich hatte das Gefühl, als wäre dies der Endpunkt eines schlampig vorbereiteten Experiments in Sachen Unausweichlichkeit: Alles war am richtigen Ort, wartete darauf, dass die Zeit innehielt und die Kräfte an Schwung verloren, damit man den Verlauf im Nachhinein analysieren konnte. Die Welt kam mir so dünn vor wie ein Blatt Papier, und die Welt war die Obstwiese, und die Obstwiese war das, was uns nun bevorstand. Aber all das war Unsinn. Ich hatte einfach Angst zu sterben.

Auf der Obstwiese herrschte Stille. Der Lieutenant schwenkte einen Arm, bis die Sergeants und Corporals auf ihn aufmerksam wurden. Dann warf er den Arm lang in Richtung Obstwiese aus und kroch aus dem Graben. Wir folgten ihm. Wir hörten die Tritte von gut zwanzig Männern im Staub, die weder langsam noch schnell vordrangen, hörten unseren Atem, der lauter wurde, als wir den weichen Boden der Obstwiese betraten und uns unter den ersten niedrigen Ästen duckten.

Ich ging weiter. Ich ging weiter, weil Murph weiterging und weil Sterling und der Lieutenant weitergingen und ebenso die anderen Trupps und weil ich große Angst hatte, als Einziger zurückzubleiben. Also folgte ich dem Zug gebückt auf die Wiese.

Als die Mörsergranaten einschlugen, zerfransten Blätter, Früchte und Vögel wie die Enden eines Seils, türmten sich verstreut auf dem Boden, zerfetzt, zerrissen, zersprengt. Der Sonnenschein fiel gleichgültig durch die Lücken zwischen den Baumkronen, ließ Vogelblutpfützen und Zitrusfruchtsaft funkeln.

Die Trupps drangen im Halbkreis vor, jeder Mann gebeugt wie ein Greis. Wir achteten auf unsere Schritte, hielten Ausschau nach Stolperdrähten und anderen Anzeichen dafür, dass der Feind uns auflauerte. Niemand sah die Schützen, die uns unter Beschuss nahmen. Ich bildete mir ein, sie in der Ferne hinter den Bäumen erkennen zu können, ertappte mich dabei, die Schatten des Astwerks zu bestaunen, die von der Sonne auf den Boden geworfen wurden. Als die erste Kugel an meinem Kopf vorbeisauste, dachte ich noch darüber nach, dass die einzigen Schatten, die ich in diesem Krieg bisher gesehen hatte, eckig gewesen waren: grelles Licht, das auf Gebäude und Antennen fiel, auf kantige Waffen im Gewirr der Gassen. Die Kugel kam so schnell, dass sie mich in null Komma nichts aus diesen Gedanken riss, und bevor ich mich versah, schossen meine Kameraden zurück. Ich fing auch an zu schießen, und die in der Kammer explodierenden Patronen hämmerten so laut auf mein Trommelfell ein, dass es in meinen Ohren piff. Innerhalb kürzester Zeit waren wir so benommen, als hätte jemand mit einer Stimmgabel einen Ton angeschlagen, der sich auf der ganzen Obstwiese ausbreitete und allen das Gehör raubte.



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